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NEUTRALE SICHT DER DINGE

10. 11. 2023

Der Große Preis von Bayern in der Vorwoche, war ein in der Tat denkwürdiges Rennen, wegen der nur vier Starter, aber vorallem wegen des Rennverlaufs.

“Wer sich zuerst bewegt verliert” ist eine auch hierzulande oft zitierte Redensart. Im Münchener Hauptereignis, war es aber einmal genau umgekehrt, denn am Ende gewann mit Bauyrzhan Murzabayef der Jockey, welcher als Erster die Initiative ergriff. Wobei sich auch an der ursprünglichen Reihenfolge Junko vor Assistent, India und Best of Lips bis ins Ziel nichts mehr änderte. In seinem regelmäßig erscheinenden Blog bei Deutscher Galop, hat jetzt Chef – Handicaper Harald Siemen in gewohnt launiger und neutralercArt seine Einschätzung des Rennens zu Papier gebracht und den wir hier jetzt nachstehend im Originaltext wiedergeben.

DAS ÄRGERNIS DES JAHRES
Das renommierte Fachmagazin „Oper!“ vergibt alljährlich im Rahmen einer festlichen Veranstaltung zahlreiche Preise, benennt aber auch ein „Ärgernis des Jahres“. Hier fiel die Wahl in diesem Jahr auf das Opernhaus in Krefeld, denn wer dort in die Oper wolle, müsse sich auf dem Theatervorplatz „quer durch die Drogenszene kämpfen.“ Gäbe es einen solchen Anti-Preis auch im Galoppsport, so müsste er in diesem Jahr an den Allianz Großen Preis von Bayern fallen. Damit soll keineswegs der Münchener Rennverein und schon gar nicht der Sponsor Allianz diskreditiert werden. Auch die Tatsache, dass nur vier Pferde liefen, soll hier nicht bemängelt werden, obschon das gewiss enttäuschend war. Doch so etwas passiert eben gelegentlich in den großen Rennen, wie erst im Vorjahr im Großen Preis von Baden. Nein, gemeint ist die Art und Weise, wie das Rennen von den Reitern in Angriff genommen und dann auch weitergeführt wurde. Schon Federico Tesio gelangte einst zu der Erkenntnis, dass ein Jockey sein Pferd nicht zwingen kann, schneller zu laufen, als es die natürliche Leistungsfähigkeit des Pferdes erlaubt. „Er kann es jedoch zwingen, langsamer zu laufen“, heißt es in seinem Buch „Rennpferde“. Von dieser Möglichkeit machten die vier Jockeys am Sonntag im Großen Preis von Bayern am Sonntag ausgiebig Gebrauch. Ein derart exaltiertes Taktieren, um nur ja nicht die Führung übernehmen zu müssen, und sei es auf Kosten der eigenen Chancen, war eines solchen Rennens unwürdig.

Grupperennen, und hier ganz besonders diejenigen der Gruppe I, sind herausragende Ereignisse, in denen man Erkenntnisse über die Qualität unserer Vollblüter erwartet. Es ist schließlich das Ziel des Rennsystems, die Besten zu ermitteln und das sollte durch eine Bummelei wie in München nicht in Frage gestellt werden. Erst nach 2:47,06 Minuten blieb die Uhr nach 2400 Metern stehen, bei offiziell „weichem, stellenweise gut bis weichem“ Boden. Das ist indiskutabel. Wir betrachten das Rennen daher mit einer gewissen Skepsis, auch wenn wir dem Sieger Junko, der übrigens brillant aussieht, vorläufig mit einer Marke von 98,5 kg (Rating 117) versehen haben. Mal sehen, ob das Bestand hat bis Jahresende. Die dahinter platzierten deutschen Pferde bleiben bei ihren bisherigen Einschätzungen.

Ich weiß gar nicht, warum es in Deutschland eine – wie ich meine festgestellt zu haben – so häufig anzutreffende generelle Abneigung dagegen gibt, ein Rennen von vorne anzugehen. Heinz Jentzsch ist mit dieser, seiner Lieblingstaktik, 31 Mal Champion geworden. Es sollte sich allgemein herumgesprochen haben, dass bei schnellem Tempo eine Position im hinteren Feld, in einem langsamen Rennen dagegen ein Platz weiter vorne von Vorteil ist. Das ist eine Erkenntnis, die Bestand hat, seit es Pferderennen gibt. Hier soll noch einmal Tesio zu Wort kommen: „Jockeys sind sich häufig nicht klar darüber, dass eine Distanz nicht mit dem Metermaß, sondern mit der Stoppuhr gemessen wird. Erfolgreich ist der Jockey, der die Pace am besten beurteilen kann. Der Besitzer eines guten, perfekt trainierten Pferdes wird stets versuchen, in einem bedeutenden Rennen ein zweites Pferd zu haben, das die Pace macht. Es kommt jedoch oft vor, dass ein Trainer kein zweites Pferd im Rennen hat. In diesem Fall muss der Favorit seine Pace selbst machen. Vorn zu sein hat seine Nachteile, denn das führende Pferd muss als Windbrecher fungieren, die anderen dagegen laufen in seinem Windschatten. Aber zwischen zwei Übeln muss man immer das kleinere wählen; deshalb ist es [in einem solchen Fall] sicherer, mit seinem Favoriten zu führen, vorausgesetzt natürlich, das Pferd kann die Distanz bestens stehen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Harald Siemen – 8. November 2023

Fotos: Marc Rühl